REALLABOR Bruno Taut
Im Sommersemester 2023 hatten Master-Studierende der BHT die Gelegenheit, an einem besonderen Projekt teilzunehmen: Sie erhielten Zugang zu einem von Bruno Taut entworfenen Reihenhaus sowie einer Geschosswohnung in der Waldsiedlung – auch bekannt als Onkel-Tom- oder Papageiensiedlung. Diese Siedlung zählt zu den bedeutendsten Großwohnsiedlungen der 1920er Jahre in Berlin. Diese beiden Wohnungen standen im Rahmen des Moduls „Reallabor“ zur Verfügung und wurden von der Familie Homann-Herterich für eine restauratorische Erfassung geöffnet, bei der die Studierenden aktiv mitarbeiteten. Studierende analysierten in Gruppen die Architektur und entwickelten Ideen, wie diese im Hinblick auf Denkmalschutz und moderne Anforderungen wie Energieeffizienz erhalten und verbessert werden kann. Das Projekt umfasst Forschung, Baustellenbesuche und eine öffentliche Ausstellung. Ziel war es, Tauts visionäre Designs zukunftsfähig zu erhalten und mit nachhaltigen Ansätzen zu verbinden.
Zwei Studierendengruppen untersuchten die „Öffnungs- und Fensterkonstruktionen“, deren detaillierte Aufnahme besonders aufwendig ist. Die gut erhaltenen Fenster – in beheizten Räumen als Kastendoppelfenster, in unbeheizten Treppenhäusern als Einfachfenster – basieren auf Holzkonstruktionen mit stählernen Eckverbindungen und stellen eine Weiterentwicklung des Berliner Kastenfensters dar. Ursprünglich geölte Holzoberflächen wurden später oft lackiert und sollen im Sanierungsprojekt wieder mit Ölanstrichen in historischen Farbtönen versehen werden. Die Teams schlagen vor, den leicht belüfteten, vorgelagerten Zwischenraum beizubehalten und durch den Einsatz von Isolierverglasung sowie Schlauchdichtungen die Energieeffizienz zu steigern.
Die Gruppe „Außenwandkonstruktionen“ analysierte erstmals in dieser Detailtiefe die innenseitig freigelegten Wandverbände und überprüfte Hohlräume mit einem Endoskop. Dabei wurden sowohl einschalige als auch zweischalige Querschnitte festgestellt: Hauptnutzräume verfügen über 38 Zentimeter starke Vollziegelwände, während Bereiche wie Bäder und Eingänge durch 28 Zentimeter schlanke Hohlraumwände vom Außenraum getrennt sind. Kelleraußen- wände und innere Trennwände bestehen aus hochdichtem Kalksandstein. Für die Innendämmung schlugen die Studierenden zwei Varianten vor: eine acht Zentimeter starke, denkmalgerechte Dämmplatte oder einen lediglich einen Zentimeter dicken Aerogel-Dämmputz.
Die Gruppe „Oberflächen und Farben“ entwickelte einen Taut-Farbfächer, der historische Farbtafeln mit heutigen Farbcodes abgleicht. Ihre Ergebnisse korrigieren bisherige Annahmen und fließen in die Restaurierung ein. Die Gruppe „Baugeschichte“ beleuchtete, wie Stadtbaurat Martin Wagner gegen Widerstände im konservativen Bezirk Zehlendorf kämpfte. Sie würdigten auch die junge Architektin Ludmilla Herzenstein, die ab 1926 den Bau der gesamten Waldsiedlung leitete, was in der Forschung bislang kaum thematisiert wurde. Das Team „Außenraum-, Terrassen- und Balkonkonstruktionen“ dokumentierte eine der letzten original erhaltenen Verandakonstruktionen eines Reihenhauses.
Die Gruppe „Technik und Energiebilanz“ erstellte ein digitales Bestandsmodell mit Geometrie, Materialien und bauphysikalischen Kennwerten des Gebäudes. Darauf aufbauend wurde ein Konzept entwickelt, das einen nahezu CO2-freien Betrieb bei minimalem Ressourceneinsatz ermöglicht und dabei Denkmalschutz sowie Welterbestatuten berücksichtigt. Die kompakten Wohneinheiten und das Prinzip des Reihens und Stapelns erweisen sich als ideale Grundlage für effizientes Heizen. Trotz denkmalbedingter Einschränkungen und geringem Einsatz grauer Energie kann eine Reduktion der CO2-Emissionen um mindestens 50 Prozent erreicht werden. Dank des seriellen Bauens sind die Lösungen zudem auf viele andere Häuser der Siedlung übertragbar.
Das Projekt begann im April 2023 mit einer Führung durch den Nachbarschaftsverein Papageiensiedlung und wurde durch regelmäßige Arbeitstermine vor Ort ergänzt. Neben fachlichen Inputs und Terminen an der Hochschule nutzten die Studierenden Messgeräte sowie klassische Methoden wie Fotografie und Skizzen. Das Highlight war eine von Familie Homann-Herterich organisierte Work-in-Progress-Ausstellung im Juli, bei der die Studierenden eigenständig ihre Ergebnisse in Form von Skizzen, Collagen, Farbkarten und Modellen präsentierten. In sechs Führungen stellten sie Methoden, Thesen und erste Ergebnisse interessierten Nachbar:innen, Lai:innen und Fachkolleg:innen vor.
Die Studierenden identifizierten in der Waldsiedlung zahlreiche Qualitäten und Potenziale für eine klimaangepasste Weiterentwicklung. Großsiedlungen der Moderne können auch unter heißeren Klimabedingungen und extremen Wetterlagen bestehen, wenn ihre Stärken gezielt genutzt werden. Wichtige bauklimatische Eigenschaften wie Versickerung, Verdunstung und Verschattung machen die Siedlung zu einem Vorbild für nachhaltiges Bauen. Als Gartenstadt mit hohem Grünflächenanteil und großen Baumbeständen wird Überhitzung reduziert, und Wasser kann bei Starkregen versickern und dem Grundwasser zugeführt werden. Das Reallabor Bruno Taut zeigt, wie Ideale des Städtebaus der 1920er Jahre noch heute Potenziale für klimagerechte Sanierungen bieten.
Fotos: Tobias Zander